Lore - Ferienhaus Wolf

Haus Wolf Wyk /Föhr
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Lore

Geschichte

Vor dem 2. Weltkrieg schenkte der Kapitän Friedrich Christiansen seinen beiden Schwestern Anna und Klara einen Gelbkopf-Amazonen-Papagei, den er als Wildfang aus Mexiko mitgebracht haben soll. Mein Bruder war in deren Haus häufiger Gast, weil er von dem sprechenden Vogel fasziniert war.

Irgendwann in den Jahren 1948/49 fühlten sich die beiden alten Damen durch das Geschrei und die Pflege für den Vogel überfordert. Sie hatten genug mit sich selbst zu tun und wollten den Papagei loswerden.
Mein Bruder kam aufgeregt nach Hause und bettelte darum, das Tier übernehmen zu dürfen, sonst sollte es getötet werden. Meine Mutter ließ sich erweichen. Es dauerte keine zehn Minuten, da stand mein Bruder freudestrahlend mit dem Vogel samt Käfig auf unserem Hof.
Aber Lore, so hieß der Papagei, war mit dem Umzug zunächst gar nicht einverstanden. Sie vermisste die beiden Schwestern jämmerlich, ließ Kopf und Flügel hängen, fraß nicht und rief immer wieder klagend: „Anna, Klara, Anna, Klara!"
Sie ließ sich durch nichts und niemanden aufmuntern. Schließlich sagte meine Mutter: „Das Gejammer halte ich nicht mehr aus. Wenn sie morgen nicht frisst, dreh` ich ihr den Hals um." Das war ihr offensichtlich nicht recht. Von da an fraß sie, akzeptierte meine Mutter als neue Hauptbezugsperson und fügte sich als Familienmitglied ein.

Lore stand gerne im Mittelpunkt, wollte sich unterhalten und wollte unterhalten werden. Zollte man ihr nicht die gewünschte Aufmerksamkeit, machte sie ein Mordsspektakel und schrie, dass man sie in den Klassenräumen der benachbarten Schule hören konnte, wenn sie im Sommer draußen auf dem Hof stand.
Sie hat bei uns keine neuen Wörter mehr gelernt. Es war aber immer wieder höchst erstaunlich für uns, wie sie ihr begrenztes Sprachvermögen situationsgerecht einzusetzen vermochte und wie variationsreich allein schon ihr „Hallo" klang. Das reichte von neugierig über abwartend, freundlich, fordernd, ungeduldig, ärgerlich bis wütend.
Gern ließ sie sich von uns das Köpfchen kraulen, wobei sie genießerische Laute vo sich gab und die Prozedur mit „Wat, fein, wat fein" kommentierte.
Wenn meine Mutter morgens das Frühstück machte, spulte sie ihr Repertoire ab: „Hallo, Anna, Klara! Wie heißt du? Bist verheirat? Bist verrückt, olle Hex." Wehe, wenn Mutti nicht antwortete. Dann wurde sie immer lauter, schimpfte und schrie, sodass unsere Hausgäste aus dem Schlaf gerissen wurden.
Bei vielen Hausarbeiten saß Lore auf Muttis Schultern. Sie knabberte zärtlich an ihrem Ohrläppchen, wobei sie immer wieder „Wat fein, wat fein" gurrte.
Dann ging sie aber gern auf Wanderschaft. Es gab keine Stuhllehne und keine Fußleiste, die nicht von ihr angeknabbert war. Hörten wir das Geräusch von splitterndem Holz, schimpften wir mit ihr und sperrten sie in ihren Käfig, wobei sie sich lauthals beschwerte: „Bist verrückt, olle Hexe!"
Unser Papagei vertrug sich meist gut mit unserer Katze. Sie teilten sich sogar ihr Futter. Aber sie hatte auch Spaß daran, sie zu piesacken. Wenn die Katze schlief, schlich sie sich an sie heran, wobei sie schon in Vorfreude auf das Kommende leise lachte: „Oh, ha, ha, ha!" Dann zwickte sie die Katze in den Schwanz, diese schoss mit gesträubtem Fell jaulend in die Höhe und Lore lachte schadenfroh.
Im Sommer war der Papagei bei schönem Wetter oft im Garten. Der Käfig stand immer am Zaun im Schatten eines Hochstamm-Stachelbeerbusches verborgen. Lore liebte diesen Platz, hatte sie doch reichlich Gelegenheit zu „Gesprächen". Denn um die Mittagszeit gingen viele Leute zum Mittagstisch zu Toni Eiper Es waren Kurgäste, aber auch Handwerker, die auf der Insel arbeiteten und diese kannten den Vogel. Daraus ergaben sich immer wieder witzige Situationen.
So ging eine junge Frau zum Essen, etwas weiter dahinter ein Malergeselle von Maler Simonson. Lore rief: „Hallo!" Die Frau drehte sich um und schaute den Mann fragend an. Der reagierte aber nicht, sodass sie ihren Weg fortsetzte.  Erneut folgte ein „Hallo" und dann ein „Bist verheirat?" Die Frau drehte sich wieder um und schaute den Mann empört an, der jetzt grienend an ihr vorbeiging, während sich Lore erneut mit einem nun ungeduldigen „Hallo" meldete, denn sie wollte endlich eine Antwort. Total verdattert schaute sich die Frau um, die ganze Person ein einziges Fragezeichen.
Wir hatten einen Staubsauger, der auch zum Föhn umgebaut werden konnte. Lore hasste das Geräusch dieses Gerätes und kreischte jedes Mal hysterisch, wenn es lief. Nun war der Vogelbauer frisch gestrichen worden und Lore hatte sich mit der noch frischen Farbe beschmiert, sodass sie gebadet werden musste. Das war ein Kampf! Sie schrie Zeter und Mordio und hackte mit ihrem scharfen Schnabel um sich, bis sie schließlich erschöpft aufgab.
Da das Federkleid von Papageien nicht fettig ist, war es vollgesogen mit Wasser und Lore lag pitschnass wie tot auf dem Handtuch. Meine Mutter sorgte sich, das Lore an Lungenentzündung sterben könnte und entschied: Sie muss trocken geföhnt werden. Flugs wurde der Staubsauger zum Föhn umgebaut. Der Vogel war so ermattet, dass er gar nicht mehr wie üblich auf das Geräusch reagieren konnte. Nach einiger Zeit aber spürte er, wie die Federn durch das Trocknen leichter wurden und er fühlte auch die Wärme. Langsam schaffte es Lore, wieder auf die Beine zu kommen und die Flügel und das Köpfchen zu heben. Dann fing sie an zu gurren: „Wat fein, wat fein! Wat fein, wat fein!"  Seitdem war das Brummen des Staubsaugers Musik in ihren Ohren und sie kommentierte es immer mit: „Wat fein, wat fein!"
Lore gehörte mehr als zehn Jahre zu unserer Familie. Sie hat uns oft genervt mit ihrem Geschrei, aber sie hat uns noch mehr Freude bereitet.
Eines Tages war sie besonders aufgeregt, spulte ihr gesamtes Repertoire ab, tanzte gut gelaunt auf der Stange hin und her und sang dazu: Komm zurück, geh weit weg!" fiel von der Stange und war tot.
Wir waren sehr traurig. Freiwillig hätten wir uns niemals von ihr getrennt.

Zu damaliger Zeit wurde sehr wenig fotografiert, sodass wir nur zwei Fotos von Lore haben.



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